Ihre Meinung ist uns wichtig...? Grenzen der Meinungsfreiheit von Lehrern, SchulVerwaltung.de

Das Problem:

Auch Lehrer haben eine Meinung, gerade zu aktuellen politischen Themen. Andererseits haben sie das „Neutralitätsgebot“ des Staates zu beachten. Müssen Lehrer daher ihre Meinung im Unterricht für sich behalten? Und was gilt in der Freizeit? 

Aus der Praxis:

Politische Bildung findet fast ausschließlich in der Schule statt. Nur selten legt das Elternhaus hier schon ein gewisses Fundament und auch die wirklich hervorragenden Angebote der (Landes- und Bundes-) Zentralen für politische Bildung werden außerhalb des Schulbetriebs kaum wahrgenommen. Dem schulischen Politikunterricht kommt daher eine nicht zu unterschätzende, in vielen Fällen für das künftige Wahlverhalten der Jugendlichen richtungsweisende Bedeutung zu. Schüler orientieren sich auch in politischer Hinsicht an ihren Lehrern. Wie sollen Lehrer also reagieren, wenn ihre Schüler wissen wollen, wie sie zu bestimmten politischen Entwicklungen oder Parteien stehen? Dürfen Lehrer offenlegen, welche Partei sie wählen? Dürfen Sie die Arbeit einer Partei loben oder kritisieren? Und müssen Lehrer umgekehrt nicht sogar aktiv eine bestimmte Position vertreten, wenn ein Schüler sich etwa fremdenfeindlich oder volksverhetzend äußert?

Das sagt das Recht:

Auch Lehrer können sich auf die durch Art. 5 Grundgesetz (GG) gewährleistete Meinungsfreiheit berufen, wonach „jeder“ das Recht hat, „seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten“.

Zum Grundsatz der Meinungsfreiheit

Der Begriff der „Meinung“ in diesem Sinne ist grundsätzlich weit zu verstehen. Meinungen sind durch das Element der Stellungnahme, des Dafürhaltens, der Beurteilung geprägt. Jeder soll frei sagen können, was er denkt, auch wenn er keine nachprüfbaren Gründe für sein Urteil angibt oder angeben kann. Unerheblich ist, ob eine Äußerung wertvoll oder wertlos, richtig oder falsch, emotional oder rational begründet ist.

Zu unterscheiden sind Meinungen von Tatsachenbehauptungen. Letztere können wahr oder unwahr sein, sind also – zumindest theoretisch – einem Beweis zugänglich. Da Tatsachen i.d.R. Voraussetzung der Bildung von Meinungen sind, greift der Grundrechtsschutz auch für solche Tatsachen, die meinungsbezogen sind und damit zur Meinungsbildung beitragen. Nicht geschützt sind jedoch Tatsachenbehauptungen, die bewusst oder erwiesenermaßen unwahr sind.

Meinungsfreiheit ja, aber...

Die Meinungsfreiheit ist jedoch nicht schrankenlos gewährleistet. Eingeschränkt werden kann sie insbesondere durch „die Vorschriften der allgemeinen Gesetze“. Für verbeamtete Lehrkräfte ist in diesem Zusammenhang vor allem das Beamtenstatusgesetz von Bedeutung, welches u.a. die „Grundpflichten“ der Beamten regelt: Danach dienen Beamte dem ganzen Volk, nicht einer Partei. Sie haben ihre Aufgaben unparteiisch und gerecht zu erfüllen und ihr Amt zum Wohl der Allgemeinheit zu führen und müssen sich durch ihr gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen und für deren Erhaltung eintreten, § 33 Abs. 1 BeamtStG . Zu der sog. „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ zählen die obersten Grundwerte der Verfassung: Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Ausübung einer Opposition.

Beamte haben bei politischer Betätigung diejenige Mäßigung und Zurückhaltung zu wahren, die sich aus ihrer Stellung gegenüber der Allgemeinheit und aus der Rücksicht auf die Pflichten ihres Amtes ergibt, § 33 Abs. 2 BeamtStG („Mäßigungsgebot“).

Als Arbeitnehmer beschäftigte Lehrkräfte schulden nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zwar nur diejenige Loyalität, die für eine funktionsgerechte Amtsausübung unverzichtbar ist. Allerdings müssen auch sie sich nach § 3 TV-L „durch ihr gesamtes Verhalten zur freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen“. In der Sache bestehen demnach keine nennenswerten Unterschiede.

Die den Lehrern dadurch auferlegte Neutralitätspflicht soll die Chancengleichheit der Parteien und die freie politische Willensbildung in der Demokratie sichern. Die (zukünftigen) Wähler sollen ihr Urteil in einem freien und offenen Prozess der Meinungsbildung fällen können. Entsprechend ist der schulische Bildungs- und Erziehungsauftrag nach den Schulgesetzen darauf gerichtet, Kinder und Jugendliche zu befähigen, sich eine eigene Meinung zu bilden und sie zu vertreten, die Meinung anderer zu achten sowie für ein friedliches Zusammenleben unter Achtung der Werte des Grundgesetzes einzustehen.

Der sogenannte Beutelsbacher Konsens

Als rechtlich zwar unverbindliche aber gleichwohl für den Bereich der politischen Bildung bis heute bedeutsame Richtschnur ist schließlich der sog. „Beutelsbacher Konsens“ zu nennen, der 1976 federführend von der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg erarbeitet wurde. Er legt drei Grundsätze für politische Bildung fest:

  1. Es ist nicht erlaubt, den Schüler – mit welchen Mitteln auch immer – im Sinne erwünschter Meinungen zu überrumpeln und damit an der „Gewinnung eines selbständigen Urteils“ zu hindern (Überwältigungs-/Indoktrinationsverbot).
  2. Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers erscheinen. Der Lehrer soll unterschiedliche Standpunkte erörtern. Seine eigene Ansicht darf nicht als einzig richtige erscheinen, andere Ansichten sollen zum Zuge kommen (Kontroversitätsgebot).
  3. Der Schüler muss in die Lage versetzt werden, eine politische Situation und seine eigene Interessenlage zu analysieren, sowie nach Mitteln und Wegen zu suchen, die vorgefundene politische Lage im Sinne seiner Interessen zu beeinflussen (Schülerorientierung). 

Was folgt daraus konkret im Unterricht?

Für verbeamtete und angestellte Lehrer gilt danach gleichermaßen, dass sie im Unterricht politische Sachverhalte ausgewogen und sachlich behandeln müssen. Sie brauchen zwar ihre eigene Meinung (und auch ihr eigenes Wahlverhalten) nicht zu verschweigen – häufig kommt, insbesondere bei der Behandlung sensibler aktueller Themen (z.B. der Flüchtlingspolitik, Terrorgefahr, Waffengesetze), auch erst nach Preisgabe des eigenen persönlichen Standpunktes eine lebhafte, fruchtbare Diskussion mit und unter den Schülern zustande. Jedoch dürfen Lehrer Schülern ihre eigene Meinung nicht aufdrängen. Sie haben vielmehr dafür zu sorgen, dass – in den Grenzen der freiheitlichen-demokratischen Grundordnung – auch andere Auffassungen zur Geltung gelangen. Sie müssen unterschiedliche Positionen in der gebotenen sachlichen Form aufzeigen und die Schüler dadurch in die Lage versetzen, sich ein eigenes Urteil zu bilden. Ihre eigene persönliche Meinung sollten Lehrer zudem auch deutlich als solche kennzeichnen.

Unzulässig wären daher grundsätzlich:
  • Aufrufe, eine bestimmte Partei zu wählen/nicht zu wählen,
  • das Tragen von Kleidungsstücken, Plaketten, Tattoos mit Parolen für oder gegen eine spezifische Partei
  • unsachliche und abwertende Äußerungen über eine bestimmte Partei
  • Aufrufe zu Demonstrationen gegen eine Partei
  • Auslage oder Verteilung von Flugblättern, Broschüren oder sonstigen parteipolitischen Publikationen. 

Die Schule hat pluralistische und menschenrechtsorientierte Werte und Haltungen zu vermitteln. Ihre Neutralität endet demnach dort, wo diese Werte bedroht werden: So darf ein Lehrer z.B. extremistische und fremdenfeindliche Äußerungen eines Schülers nicht unkommentiert lassen; vielmehr muss er sich in solchen Fällen aktiv für die Verfassung und deren Werte einsetzen und gezielt gegen entsprechende Haltungen und Vorurteile des betreffenden Schülers angehen. Schmiert ein Schüler Hakenkreuze auf Schulmobiliar oder setzt er spontan zum „Hitlergruß“ an, so kommt eine strafrechtliche Dimension hinzu. Nach § 86a Strafgesetzbuch ist das „Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“ mit Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren oder Geldstrafe zu ahnden. In einem solchen Fall sind Beweise zu sichern sowie Schulleitung und Polizei hinzuzuziehen.

Bekennt sich ein Schüler demgegenüber verbal oder durch Tragen von Plaketten o.ä. zu einer bestimmten – nicht verbotenen – Partei, so ist dies grds. von der Meinungsfreiheit des Schülers gedeckt und daher hinzunehmen. Nur ausnahmsweise, wenn durch die Bekundung des Schülers der Schulfriede gefährdet wäre, könnten erzieherische Maßnahmen ergriffen werden.

Was gilt in der Freizeit?

Außerhalb des Schulbetriebs steht es beamteten und angestellten Lehrkräften als Privatpersonen grundsätzlich frei, sich politisch zu äußern und zu betätigen. So darf ein Lehrer als Privatperson etwa auch die Bildungspolitik etc. seines Landes öffentlich kritisieren. Einschränkungen ergeben sich durch das „Mäßigungsgebot“. Mit Rücksicht auf seine Stellung gegenüber der Allgemeinheit ist eine bestimmte Form zu wahren. Kritik sollte stets besonnen, tolerant und sachlich geäußert werden. Inhaltliche Einschränkungen folgen, wie für jeden anderen Bürger, zunächst aus den Strafgesetzen, wonach beleidigende oder verleumderische Äußerungen verboten sind, vgl. §§ 185 ff. StGB. Zudem wird die Meinungsfreiheit von Lehrern auch in ihrer Freizeit durch ihre Pflicht zur Verfassungstreue beschränkt. Zwar ist es ihnen als Privatmann unbenommen, die bestehenden politischen, rechtlichen und auch verfassungsrechtlichen Verhältnisse zu kritisieren. Hinsichtlich der freiheitlichen demokratischen Grundordnung muss jedoch zumindest ein „Minimalkonsens“ bestehen. So wäre z.B. ein öffentliches Sympathisieren mit rechtsextremem Gedankengut unzulässig. Insoweit ist bereits jeglicher „böser Schein“ zu vermeiden.

Immer ist eine klare Trennung zwischen dem Lehreramt und privater Teilnahme am politischen Meinungskampf einzuhalten. In einer Grauzone bewegt sich ein Lehrer demnach, wenn er sich unter Verwendung seiner Amtsbezeichnung, etwa in Leserbriefen, in eine öffentliche Diskussion einschaltet. Nach einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahre 1983 kann darin ein sachlich nicht gerechtfertigter Missbrauch des „Amtsbonus“ liegen, wenn der Lehrer seiner Meinung durch den Hinweis auf sein Amt ein gegenüber anderen Staatsbürgern höheres Gewicht verleihen will. Allerdings hat sich offenbar auch insoweit die öffentliche Wahrnehmung geändert. So bezweifelt das Verwaltungsgericht Münster in einer Entscheidung aus dem Jahre 2014, ob heutzutage eine aufgeklärte Öffentlichkeit einem Amtsträger wirklich noch einen Bonus in dem Sinne zuerkennt, dass seine Meinung schon allein wegen seiner Amtsstellung als besonders maßgeblich und verbindlich angesehen wird. Unabhängig von diesen rechtlichen Erwägungen dürfte es jedoch auch immer eine Frage des guten Stils sein, durch gute Argumente überzeugen zu wollen und sich nicht hinter seiner Amtsbezeichnung zu verstecken.

Mein Rat:

Thematisieren Sie das Neutralitätsgebot in Ihrem Unterricht. Machen Sie deutlich, dass abweichende Meinungen der Schüler – in den genannten Grenzen – toleriert werden und keinen negativen Einfluss auf Ihre Benotung haben.

Der Experte und Autor:

Marko Bijok
Richter am Amtsgericht Köln und Schulrechtsexperte. Er ist Herausgeber des Praxisjournals Schulrecht heute.


Hinweis » Der Beitrag wurde im Praxisjournal Schulrecht heute 12/2019 veröffentlicht.

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